Besuch am Christkindlmarkt

Skizze | Foto: © Werner Pietschmann

Gestern Vormittag rief mich die Wildnis. Was heißt rief - gebrüllt hat sie nach mir und nachdem ich (jetzt bitte NICHT lachen) so halbwegs gut erzogen bin hab ich all meinen Mut zusammengenommen und mich im dichtesten Schneetreiben auf den Weg zum Christkindlmarkt am Marienplatz gemacht.
Geschneit hats! Unvorstellbar. Alles war weiss: vor mir, neben mir, hinter mir, über mir, unter mir. Wirklich alles. Es hat eine Ewigkeit gedauert, es war ein Gestapfe ohne Ende. Teilweise hüfthoch lag das weiße Zeug. Ich hab mir nur gedacht"jetzt nur nicht stehen bleiben sonst friert dir alles ab!" Ich habe, glaube ich, schon geschrieben dass es eissig kalt war. Moment, ich lese noch mal nach.. Nein, habe ich noch nicht geschrieben. Also, es war eissig kalt. So eissig dass die Zähne des Reißverschlusses meiner polarkreisexpeditionserprobten Thermohose das klappern angefangen haben. Polarkreisexpeditionserprobt stammt übrigens nicht von mir, das stand auf dem Beipackzettel unter Nebenwirkungen. Ich hab den ganzen Weg nur gehofft dass die Zähne heil bleiben. Ich steh nicht so auf Frostbeulen. Da unten schon gar nicht. Aber - soviel vorweg - das Ding hat gehalten. Bis zum Sendlinger Berg. 736 Meter. Dumm gelaufen. Aber die ewig lange Lindwurgstraße hatte ich Rückenwind.

Die Schneeverwehungen waren der Wahnsinn! Und ich hab mal gemeint die Ausserirdischen sind gelandet. Da stand auf einer riesigen Schneewächte ein grünes Männchen.Ich hab gedacht mein Zucker ist unten und hab gemessen aber der war halbwegs ok. Wieder hingeschaut, weg wars. Halozünatsionen (oder wie man das Zeug schreibt) hab ich mir gedacht und vorsichtshalber einen Müsliriegel zur Zuckerstabilisierung aus dem Rucksack geholt.Birchermüsli zum lutschen. Das Ding war bretthart gefroren. Aber dem grünen Männchen wars egal. Es war da und weg und wieder da und so weiter. Ich hab echt gedacht es stimmt was andere sagen: ich spinne. Sollte ich mich wirklich bis daher gequält haben um zu dieser Erkenntnis zu kommen? Was für ein Schicksal. Der normale Mensch bekommt das von seinem Psychologen schwarz auf weiss per Post in die warme Stube geliefert und der Gschbinnerte geht für diese Erkenntnis im härtesten Winter mit defektem Hosenstall Richtung Weihnachtsmarkt. Da hab ich verstanden warum Reinhold Messner den Yeti gesehen hat. Oder haben will. Und ich wollte es besser machen als dieser Extremfuzzi. Foto machen! Also Kamera raus, auf den Bauch werfen und ranrobben. Kleiner Scherz. Mach das mal bei mehr als hüfthohem Schnee und offener Hose... Zapfig. Kann man eigentlich rohe Eier einfrieren? Kommt mir gerade so. Nein, also, etwas näher hingestiefelt zum Landeplatz des Grünlings und dann gezoooomt um hier mal einen Fachausdruck unterzubringen. Das soll sich angeblich gut machen. Zeugt von Sachverstand und Kompetenz. Ich schmeiß mich weg. Wenn dem so wäre würde ich phänomenale Expertisen über fakultäre Disskrepanzen parall-konträrer Polyphone in der lingualen Kinetik verfassen und gleichzeitig die suboptimale Alliteration kongruent-quadratischer Dreiecksmyten im Kaffeesatz durch den Kakau ziehen. Sonst noch. Bin ja noch nicht mal am Marienplatz. Weil dieses grüne Ding auf dem riesigen Schneehaufen plötzlich rot ist und die Arme austreckt. Voll Banane. Ampelmännchen. Ich war am zugewehten Goetheplatz. Nur da gibts Ampeln zu sehen. Wenn man sie sieht. Ganz. Und nicht nur die bunten Männchen von ganz oben.

Na ja, irgendwann durfte ich dan auch gehen oder es versuchen. Ein Ewigkeitswerk über diesen Platz zu kommen. Ich glaub ich war der einzige der unterwegs war. Oder die anderen steckten noch tiefer im Schnee. Nasenspitzenhoch. Oder noch höher. Pudelmützenbommelhoch. Oder heißt das pudelmützenquastenhoch? Keine Ahnung. Aber irgendwann war ich dann am Sendlinger Tor. Hab ich auch nur gemwrkt weil mir das Ding plötzlich im Weg stand. Die letzten paar Meter zum Marienplatz waren dann in einer sportlichen Stunde überstanden. Ich hab mir dann jemanden gesucht dem ich mit Gesten und komischen Lauten beibringen konnte dass meine Backen eingefroren sind und ich daher nicht sprechen kann und ich dringend was heißes brauche. Der hat zwar erst ganz schlau gemeint die Backen wären hinten in der Mitte und mit dieser Körperegion könne man nie sprechen, höchstens puupsen und dass das da oben Wangen wären aber er hat mir dann doch was heißes besorgt. So viel, ich hab gar nicht gewusst wohin damit. Zuerst hab ich gemeint es wären zwei, es hat ja immer noch geschneit wie verrückt und es war so gut wie nichts zu erkennen. Aber dann hab ich gemerkt es sind doch a bisserl mehr. Unglaublich. Richtig heiße Dinger. Nicht so klein mit filligranem Henkel. Schon was Handfestes. Ich hab mich dann gleich damit fotografieren lassen. War wie Ostern, Weihnachten, Nikolaus, Erntedank und Beginn der Bikinisaison auf einmal. Ich schick mal das Foto mit. Das ist mein Winterbild des Jahrtausends. Schnee, Schnee und nochmal Schnee. Als schmückendes Beiwerk, Gut, das mit den Kontrasten hat nicht ganz hingehaut. Das war der Kamera dann doch zu viel weiß. Schreibt man eigentlich weiß weiß oder weiss? Weißt du, ich weiss das nie. Aber egal. Da auf dem Foto so viel abgebildet ist was Du nicht kennst hab ich es mal beschriftet. Hat lange gedauert bis ich da durchgeblickt hab:

Besuch am Christkindlmarkt (Foto: Werner Pietschmann)

Irgendwann ist mir dann doch die Zeit ausgegangen. Und ich hab mich schweren Herzens auf den Heimweg gemacht. Seit 3 Uhr 27 bin ich jetzt endlich wieder zu Hause. Das ging dann doch relativ schnell. Ich hab die U-Bahn genommen. Sonst könntest Du diese Geschichte erst übermorgen lesen. Aber da hab ich sicher wieder was ganz Neues zu erzählen.

Ach ja, was ich Dir noch sagen wollte: es schneit immer noch.

Werner Pietschmann | 11.12.2012